Rechtswidrige Freiheitsberaubung durch Polizei- und Justizwillkür entgegen richterlichen Beschlusses

+++ Lex Hambi: Rheinland3 trotz genommener Fingerabdrücke weiterhin in Polizeigewahrsam
+++ Polizeigesetz dient als Abschreckungsgesetz gegen soziale Bewegungen

Drei der am Samstag im Tagebau Garzweiler festgenommenen Aktivist*innen befinden sich weiterhin in Polizeigewahrsam, was seit dem gestrigen Nachmittag (13.02.) klar rechtswidrig ist: Zu diesem Zeitpunkt wurden die Fingerabdrücke aller drei Gefangenen genommen, womit der Gewahrsamsgrund, der im richterlichen Beschluss angeführt worden war, entfallen ist. Dass die Umweltschützer*innen seitdem weiter auf der Polizeiwache Mönchengladbach festgehalten werden, hält das Bündnis „Polizeigesetz NRW stoppen!“ für Freiheitsberaubung. Es fordert daher ihre sofortige Freilassung und eine parlamentarische Aufarbeitung der Geschehnisse.

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„Die Ermächtigung der Polizei zur Willkür ist erschreckend schnell Realität geworden. Dies zeigt: Das neue Polizeigesetz ist eine autoritäre Spielwiese für die Polizei. Sie tun, was sie wollen, weil sie genau das aus dem Innenministerium vermittelt bekommen haben. Dass die Justiz hier aber kritiklos mitzieht und Menschen der Freiheit beraubt, ist für uns unfassbar.“, so Sabine Lassauer, Sprecherin des Bündnisses.

Sowohl die Kreispolizeibehörde Heinsberg als auch das Amtsgericht Erkelenz hatten ihre Begründung der Freiheitsentziehung der Aktivist*innen darauf gestützt, dass sie deren Identität zur Gefahrenabwehr mithilfe von Fingerabdrücken feststellen müssten. Im Beschluss des Amtsrichters Dr. Meuters zur Haftbeschwerde steht: „Die Ingewahrsamnahme ist zur Gefahrenabwehr geeignet. Innerhalb der angeordneten Frist ist mit einer Ablösung der Verklebung der Fingerkuppen zu rechnen. Diese ermöglicht […] entweder die Identifikation des Beteiligten, jedenfalls aber dessen Individualisierung, sodass ein personifiziertes Betretungsverbot gemäß §34 Abs. 2 PolG ausgesprochen werden kann.“ Laut dieses Beschlusses ist der Gewahrsamsgrund mit Abnahme der Fingerabdrücke entfallen. Dennoch habe der Eilrichter des Amtsgerichts Erkelenz am Mittwoch Abend laut „EK Hambach“ entschieden, dass die Gefangenen für „strafprozessuale Maßnahmen“ bis zum Folgetag festgehalten werden sollten.

Rechtsanwalt Christian Mertens sagt dazu: „Polizei und Justiz springen seit Festnahme meiner Mandant*innen munter zwischen Polizeirecht und Strafprozessordnung hin und her, um ihre jeweiligen Maßnahmen zu rechtfertigen. So funktioniert Rechtsstaat aber nicht! Der lange Freiheitsentzug wäre nach Strafprozessordnung nicht möglich gewesen, also haben sie einen Antrag auf Basis der Gefahrenabwehr nach verschärftem Polizeigesetz konstruiert. Jetzt, da die Begründung zu Gefahrenabwehr wegfällt, soll plötzlich wieder Strafprozessordnung gelten? Das ist ebenso skandalös wie durchschaubar und reine Schikane für meine Mandant*innen.“

Mit ihrem Vorgehen in dieser Woche haben sowohl die involvierten Polizeibehörden als auch die Gerichte bewiesen, dass es sich bei der Verschärfung des Gesetzes keineswegs um Maßnahmen zur Terrorabwehr handelt, sondern um die Ermächtigung, auf autoritäre Weise mit Protestierenden aus sozialen Bewegungen umzugehen. Das Innenministerum NRW, das dies im Gesetzgebungsprozess noch von sich wies, bestätigte dies nun in einer Stellungnahme gegenüber der WAZ: „Es sind genau diese Fälle, für die wir die neue Befugnis für die Polizei eingeführt haben.“, erklärte ein Sprecher. Wer glaube, seine Identität verschleiern zu können (…) werde jetzt eines besseren belehrt. Sabine Lassauer kommentiert dazu: „Mit solchen überzogenen Maßnahmen sollen engagierte Menschen eingeschüchtert und von der Ausübung ihrer Grundrechte abgehalten werden. Die Polizei missbraucht die Verschärfungen mit Rückendeckung des Innenministeriums zur Abschreckung.“

Update (14.02.2019 15:24 Uhr): Mittlerweile wurden die drei aus dem Gewahrsam entlassen.

Ein Freifahrtschein für den Großen Bruder

Dieser Artikel erschien zuerst in der Ausgabe 436 der Zeitschrift Graswurzelrevolution.

Die Auswirkungen des neuen Polizeigesetzes in Nordrhein-Westfalen

30. Januar 2019 | Michèle Winkler

Überwachungskamera mit dem Graffiti „WHAT ARE YOU LOOKING AT?“
Foto: Niv Singer via flickr.com (CC BY-SA 2.0)

Am 12. Dezember 2018 hat der Landtag von Nordrhein-Westfalen ein heftig umstrittenes neues Polizeigesetz verabschiedet. Nach Bayern hatte es in NRW die heftigsten Proteste gegen die umfassende Ausweitung polizeilicher Befugnisse gegeben (vgl. GWR 435). Auch wenn leichte Entschärfungen errungen wurden, können diese nur als Pyrrhussieg gelten.

Freifahrtschein für Polizeiwillkür

Die Polizei in NRW erhält sehr weitgehende neue Befugnisse: Telekommunikations- und Quellen-Telekommunikationsüberwachung, Aufenthaltsvorgaben, Kontaktverbote, elektronische Fußfessel, Strategische Fahndung und deutlich verlängerte Gewahrsamsdauern. Elektroschockgeräte werden als zusätzliche Waffen eingeführt und die Videobeobachtung darf weiter ausgebaut werden.

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Ein wichtiger Kritikpunkt ist und bleibt die zeitliche und prognostische Vorverlagerung der Eingriffsschwellen, was den Weg für Polizeiwillkür bereitet. Entgegen der bisherigen Vorgaben, dass Polizei im Vorfeld möglicher Straftaten nur aufgrund sogenannter „konkreter Gefahren“ eingreifen darf, kann sie dies nun schon, wenn vagere Vermutungen bestehen, dass eine Person möglicherweise eine „terroristische Straftat“ planen könnte. Was als terroristische Straftat zählt, wird in einem sehr breiten Straftatenkatalog abgebildet: von Mord und Totschlag über Computersabotage oder das Herbeiführen einer Überschwemmung bis hin zu „Gefährlichen Eingriffen in den Bahn-, Schiffs- und Luftverkehr“ oder gar zur Zerstörung eines Fahrzeugs der Polizei.

„Ein Freifahrtschein für den Großen Bruder“ weiterlesen

Erste Anwendungsfälle des „Lex Hambi“ aus neuem NRW-Polizeigesetz

+++ Nach Braunkohleprotest: Umweltaktivist*innen in fünftägigem Polizeigewahrsam zur Identitätsfeststellung
+++ Bündnis „Polizeigesetz NRW stoppen!“ fordert Freilassung der Gefangenen aus verfassungswidrigem Polizeigewahrsam

Am vergangenen Samstag kam es zum ersten Anwendungsfall des sogenannten „Lex Hambi“: Nachdem Umweltaktivist*innen einen Bagger im Tagebau Garzweiler blockiert hatten, wurden sie wegen angeblichen Hausfriedensbruchs festgenommen. Für Aktivist*innen, deren Identität nicht festgestellt werden konnte, ordnete das Amtsgericht Erkelenz Polizeigewahrsam bis vorerst Donnerstag (14.02.) an. Die Richterin führte für ihre Entscheidung die im Dezember beschlossene Verschärfung des nordrhein-westfälischen Polizeigesetzes an, die Ingewahrsamnahmen zur Identitätsfeststellung von bis zu sieben Tagen erlaubt. Bis Ende 2018 durften diese in NRW noch maximal 12 Stunden dauern. Sachverständige und Innenexpert*innen halten diese Regelung für verfassungswidrig.

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Das Bündnis „Polizeigesetz NRW stoppen“ kritisiert das Vorgehen der Polizei und des zuständigen Amtsgerichts und fordert die unverzügliche Freilassung der Gefangenen. Ein mehrtätiger Freiheitsentzug zur Identitätsfeststellung stellt einen massiven Eingriff in die Freiheit der Person dar. Für den im Raum stehenden Vorwurf des Hausfriedensbruchs kam es in den letzten Jahren regelmäßig zu Freisprüchen. „Aktivist*innen für einen unhaltbaren Vorwurf fünf Tage lang wegzusperren, ist vollkommmen unverhältnismäßig und kann nur als Abschreckungsmaßnahme bezeichnet werden. Polizei und Amtsgericht versuchen, unliebsamen Protest im Keim zu ersticken und verlassen damit den Boden der Verfassung. Dass das Amtsgericht sich dafür hergibt, ist skandalös.“, so Michèle Winkler, Sprecherin des Bündnisses.

Das Bündnis hatte bis zuletzt die Verabschiedung des massiv verschärften Polizeigesetzes zu verhindern versucht und dies vor allem mit dem uferlosen Abbau von Grund- und Freiheitsrechten begründet. Ungeachtet der anhaltenden Proteste und scharfen Kritiken aus den Reihen der Sachverständigen, verabschiedete der Landtag das Gesetz am 12.12.2018. „Vor Inkrafttretung des Gesetzes versuchten die Regierungsparteien der Öffentlichkeit weiszumachen, das Gesetz diene ihrem Schutz. Schon die ersten Anwendungsfälle beweisen, was wir monatelang angemahnt hatten: Tatsächlich richtet sich die Verschärfung gegen soziale Bewegungen und eine kritische Zivilgesellschaft. Angesichts der zunehmenden sozialen und ökologischen Ungerechtigkeiten soll die Polizei dafür sorgen, dass die daraus entstehenden Spannungen im Griff behalten werden. Terrorabwehr ist dabei lediglich eine schlechte Tarnung.“, so Sabine Lassauer, Sprecherin des Bündnisses.