Am 2. Februar 2020 hatten ungefähr hundert Umweltaktivist*innen Förderbänder des umstrittenen Steinkohlekraftwerks Datteln 4 besetzt. Gegen sie wurde Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs erstattet.
Journalist*innen hatten in Ausübung ihres Berufs zeitweilig ebenfalls das Gelände betreten, nach eigener Aussage durch eine offene Tür und ohne Beteiligung an den Protesten.
Die Fotos eines Pressefotografen ermöglichten eine anschauliche Berichterstattung im Spiegel, der taz, der Bild-Zeitung und auf Onlineportalen.
Am 17. April erging gegen ihn ein Strafbefehl wegen Hausfriedensbruchs, und am 14. Mai ein dreimonatiges polizeiliches Betretungs- und Aufenthaltsverbot – nicht nur für das Kraftwerksgelände, sondern auch für die nähere Umgebung sowie angrenzende öffentliche Straßen.
Wie am 26. Mai bekannt wurde, soll am Samstag, dem 30. Mai 2020, Datteln 4 in den kommerziellen Betrieb übergehen. Die Regierung argumentiert, dass zum Ausgleich ältere Kraftwerke abgeschaltet würden. Umweltverbände sehen trotzdem umweltfreundlichere Alternativen durch diese Konkurrenz bedroht, was dem Plan eines Kohleausstiegs bis 2030 zuwiderlaufe. Es waren vielgestaltige Proteste zu erwarten.
Am 28. Mai erreichte der Fotograf deshalb vor dem zuständigen Verwaltungsgericht im Rahmen eines Eilverfahrens eine Zwischenverfügung, die auf Grundlage einer Folgenabwägung vorläufig die Platzverweisung aussetzt.
Am 29. Mai erklärte das Polizeipräsidium Recklinghausen hierzu, „eine journalistische Begleitung außerhalb des Kraftwerksgeländes“ „wäre auch ohne das Urteil möglich gewesen, da in dem Aufenthalts- und Bereichsbetretungsverbot explizit auf die Ausnahmen zur Wahrnehmung berechtigter beruflicher Interessen hingewiesen worden ist. Das bedeutet, dass die Medienvertreter ihr Grundrecht auf Pressefreiheit ungestört ausüben können, solange sie sich im rechtlichen Rahmen bewegen.“ Bereits § 34 Abs. 2 des Polizeigesetzes NRW nimmt die Wahrnehmung berechtigter Interessen von jeder Platzverweisung aus. Ob in dem Verbot wirklich auf Ausnahmen hingewiesen wurde, ist allerdings strittig.
Keine 24 Stunden später twitterte der erwähnte Journalist, dass er beim Fotografieren einer Lichtprojektion auf das Kraftwerk von der Polizei gestoppt worden sei. Er habe sich auf einer öffentlichen Straße noch außerhalb der ursprünglichen Betretungsverbotszone aufgehalten, dennoch sei ihm ein neuer Platzverweis erteilt worden. Dieser stützt sich auf die Einstufung des Pressevertreters als „Störer“, allerdings mag die präventive Auslegung angesichts der Entfernung zum Kraftwerk und der Harmlosigkeit der beobachteten Tätigkeit auch an den Begriff des „Gefährders“ erinnern. Der Fotojournalist habe auf den Beschluss des Verwaltungsgerichts und die Erklärung des Polizeipräsidiums hingewiesen, worauf ihm geantwortet worden sei: „Dann können sie ja wieder klagen“.
Auch für eine freie Reporterin, die am 2. Februar zu Dokumentationszwecken das Werksgelände betreten hatte, gilt seit dem 26. Mai ein dreimonatiges Betretungsverbot, „um die von ihr ausgehende Gefahr abzuwehren“. Sie schrieb am 29. Mai auf Twitter: „Triff[t] mich, wie ich die erste Anzeige in meinem Leben bekomme und ohne Prozess zur Gefahr für die öffentliche Sicherheit erklärt werde.“ Die zuständige Polizei habe ihr angeboten: „Es besteht keine Notwendigkeit für Sie, für Ihre Berichterstattung das Gelände zu betreten. Die Pressestelle des Polizeipräsidiums steht Ihnen außerhalb des Verbotsbereichs für Fragen zur Verfügung.“ Die taz bemerkt hierzu: „Dass seriöse JournalistInnen sich lieber aus erster Hand informieren, scheint man sich dort nicht vorstellen zu können.“
Die Pressefreiheit garantiert grundsätzlich die ungehinderte Ausübung unabhängigen Journalismus einschließlich der Informationsbeschaffung. Dies ist auch notwendig, um unter anderem die Einschätzungen der Polizei oder auch der Justiz unter Hinzuziehung weiterer Perspektiven kritisch beurteilen zu können.
Ein Beispiel für eine nicht für alle Menschen nachvollziehbare Einschätzung aus den vergangenen Tagen: Ein Flüchtlingsberater soll 2018 einen Polizisten daran gehindert haben, einen Flüchtling abzuschieben. Der Fall wurde am 28. Mai vom Landgericht Detmold hochgestuft: Der Flüchtlingsberater soll sich mit ausgebreiteten Armen in den Weg gestellt haben. Indem er den Polizeibeamten in einer Drehbewegung mit dem Arm deutlich spürbar am Oberkörper getroffen habe, habe er nicht nur „mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt Widerstand“ geleistet (§ 113 StGB), sondern ihn sogar „tätlich angegriffen“ (§ 114 StGB).