Taser-Pilotversuch bei der Polizei NRW

Letztes Jahr wurde von der Polizei ein Taser gegen zwei Menschen im Dannenröder Forst eingesetzt, weil sie sich in 20 Metern Höhe beharrlich aneinanderklammerten. Die Polizei Mittelhessen rechtfertigte dies am 21.11.2020 auf Twitter damit, dass ein Trennen „ohne erhebliche Gefährdung der Personen und unserer Einsatzkräfte in dieser Höhe nicht möglich gewesen“ wäre.

Hintergrund war der Konflikt um den Weiterbau der A49 durch den Dannenröder Forst zwischen Kassel und Gießen (Hessen).

Skizze eines Pfeils des TASER 7
Fieser Metallhaken des TASER 7 (Skizze)

Kritik am NRW-Pilotversuch

8. Januar: Die VVN-BdA NRW spricht sich in einer Pressemitteilung gegen Polizeibewaffnung mit Elektroschockern aus:

„Distanzelektroimpulsgerät“, so heißen die neuen Elektroschocker offiziell, die die Polizei NRW seit Januar diesen Jahres in vier Polizeibehörden einsetzen kann. In Dortmund, Düsseldorf, Gelsenkirchen und im Rhein-Erft-Kreis werden die umgangssprachlich „Taser“ genannten Geräte für ein Jahr im Streifendienst erprobt. Die VVN-BdA NRW lehnt die Einführung von Folterinstrumenten ab.

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Im Einsatz werden gegnerische Personen auf fünf Meter Entfernung mit einem grünen Laser anvisiert und dann mit Metallpfeilen an Drähten beschossen, die in die Haut eindringen. Mit einer hohen Stromspannung wird der so Beschossene dann außer Gefecht gesetzt. 50 000 Volt und zwei bis drei Milliampere Stromstärke führen zu einer schmerzhaften Muskelkontraktion, die auch bei Menschen wirken, die unter Alkohol- oder Drogeneinfluss stehen. Mögliche Herzprobleme inklusive Herzstillstand insbesondere bei Menschen, die Alkohol oder Drogen im Blut haben nicht ausgeschlossen. […]

Die VVN-BdA NRW lehnt die Bewaffnung der Polizei mit Folterinstrumenten ab. Auch die vorgebliche „deeskalierende Wirkung“ kann kein Argument für die Einführung sein, denn Folter und Androhung von Folter sind aus gutem Grund verboten. Zudem befürchtet die VVN-BdA NRW, dass mit der zunehmenden Verbreitung dieser Waffe die Hemmschwelle sinkt, sie auch in unnötigen Situationen einzusetzen.

Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antifaschisten NRW

12. Januar: DIE LINKE Dortmund ordnet die in Rheinland-Pfalz geäußerte Begeisterung für die „deeskalierende Strahlkraft“ eines Angst machenden Folterinstruments als zynisch ein. Falls die Ursache für den Wunsch nach Aufrüstung wahrgenommene oder antizipierte soziale Missstände seien, sei diesen abzuhelfen. Deshalb: „Taser? Nein.“

16. Januar: Die Linksjugend [’solid] Dortmund wirft einen aufmerksamen Blick auf die Polizei in der Nordstadt. Sie nennt konkrete Verbesserungskonzepte und fordert: „Keine Taser für die Polizei!“

18./19. Januar: Die Dortmunder GRÜNEN erinnern an Black Lives Matter und sehen es als Schritte in die falsche Richtung an, die migrantisch geprägte Nordstadt als Testgelände für Videoüberwachung und potentiell tödliche Taser auszuwählen, statt sich mit den Menschen über die Gestaltung der Zukunft zu beraten: „GRÜNE fordern Stopp des Taser-Einsatzes in der Dortmunder Nordstadt“


Risiken

Ein Axon-Werbevideo demonstriert, dass das neue Modell TASER 7 vier statt zwei Pfeile verschießen kann, um mit höherer Wahrscheinlichkeit mit wenigstens zweien davon den Körper zu treffen. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass es in typischen Anwendungsszenarien vorkommt, dass das anvisierte Ziel nicht genau getroffen wird. Gleichzeitig warnt Axon die Einsatzkräfte unter anderem: „Vermeiden Sie nach Möglichkeit, auf den vorderen Brustkorb in der Nähe des Herzens zu zielen, um das Risiko von möglichen schweren oder tödlichen Verletzungen zu verringern.“

Die von Axon beschriebenen Gefahren für das Herz ähneln denjenigen, die Dr. Douglas P. Zipes 2014 in dem Artikel „TASER Electronic Control Devices Can Cause Cardiac Arrest in Humans“ beschrieb. Er kam unter anderem zu dem Schluss, dass ein Taser eine komplizierte Abfolge von Herzrasen über Kammerflimmern zu Herzstillstand und schließlich Tod auslösen kann. Dies kann unterschiedlich ablaufen und etliche Minuten dauern, was der Grund dafür sein mag, dass bei der Obduktion nicht immer ein direkter Zusammenhang festgestellt werden kann. Oft wird der Taser auch nicht als alleinige Todesursache angegeben, was insofern nicht überrascht, als Herzrhythmusstörungen durch Faktoren wie Vorerkrankungen des Herzens und bestimmte Betäubungsmittel begünstigt werden. Dies sind aber Faktoren, die ohne Taser-Einsatz möglicherweise nicht gerade zu diesem Zeitpunkt zum Tod geführt hätten. Der Taser-Hersteller warnt außerdem vor Infektionen durch die Pfeile und vor inneren Verletzungen durch Muskelkontraktionen oder einen Sturz.

In Deutschland sind zwischen 2018 und 2019 vier auf Taser-Einsätze folgende Todesfälle registriert worden (laut einer Untersuchung von 2020).

  • Fulda: Im Januar 2018 starb ein Mann an Herzversagen, ein bis zwei Wochen nach dem Einsatz eines Tasers durch ein Spezialeinsatzkommando der Polizei (dies wurde erst im Juli 2019 bekannt),
  • Pirmasens: Im Januar 2019 wollte das Ordnungsamt einen Mann in die Psychiatrie bringen. Er widersetzte sich, wurde von der begleitenden Polizei mit einem Taser beschossen und erlitt kurze Zeit später einen Herzinfarkt und starb,
  • Frankfurt: Im April 2019 setzte die Polizei einen Taser gegen einen Diabetiker ein, der einige Tage später im Krankenhaus an einer Lungenentzündung und Blutvergiftung starb.

Weitere Informationen

In einem ausführlichen journalistischen Artikel widmeten sich bereits am 30. November 2020 die Nordstadtblogger dem NRW-Pilotversuch.

(m)