Wie die Räumung des Hambacher Forst mit neuem Polizeigesetz verlaufen könnte

– Triggerwarnung: Polizei- und Justizgewalt –

Die Räumung des Hambacher Forsts beginnt wie gehabt mit einer Vorphase. Die Polizei erklärt das Gebiet rings um den Wald zum Gefahrengebiet, täglich finden Kontrollen von Personen statt und es werden großzügig Platzverweise verteilt. All dies nichts neues, nur darf die Polizei jetzt auch rechtmäßig in Fahrzeuge und Rucksäcke schauen – mit dem neuen §12a zu polizeilichen Anhalte- und Sichtkontrollen. Das nutzt sie um noch mehr Durchsuchungen tatsächlich durchzuführen, ein Teil davon bleibt rechtswidrig, aber wie immer interessiert das die Polizei wenig. Wie im Hambacher Forst üblich, gibt es jeden Tag ein paar Menschen, welche die Angabe der Personalien verweigern. Gleich am ersten Tag kontrolliert, nimmt die Polizei zehn Menschen mit auf die Polizeiwache, die keine Angaben gemacht haben, anders als früher werden sie aber nicht nach einigen Stunden gehen gelassen. Als am nächsten Morgen immer noch keine Identität herausgerückt wird, fährt die Polizei nach und nach sieben der Menschen zum Gericht, die anderen werden abends freigelassen, weil das Gericht Feierabend machen will. Die Richterin in Düren entscheidet: Die Menschen dürfen nach §35 Polizeigesetz insgesamt sieben Tage festgehalten werden um die Identität herauszufinden, falls sie nicht vorher ihre Personalien angeben. Noch vor Gericht geben fünf Personen ihre Daten preis, zu hart waren schon die 20 Stunden Gewahrsam bis jetzt – die Aussicht auf sechs weitere Tage lässt sie schauern. Die anderen beiden kommen zurück in die Polizeiwache in Aachen und werden am nächsten Tag in ein Gefängnis verbracht, wo sie die nächsten fünf Tage eingesperrt bleiben, aber einmal am Tag eine Stunde Hofgang bekommen. Vor Verabschiedung des neuen Polizeigesetzes hätten alle nach maximal 12 Stunden freigelassen werden müssen.

Der Widerstand formiert sich, im Hambacher Forst, Köln, Düren und Aachen gibt es täglich Treffen und Überlegungen wie mit der neuen Strategie und Gesetzeslage umzugehen ist. Währenddessen landen in den nächsten Tagen fünf weitere Menschen für eine Woche hinter Gittern und Polizei und Richterin nötigen ihnen weitere Personalien ab, viele Menschen geben sie gleich an, weil sie zu Recht Angst vor dem langen Eingesperrt Sein haben. Dann wird klar, so geht es nicht weiter, indische Aktivistinnen berichten von der Strategie der „Jail Bharo“, der überfüllten Gefängnisse und das wird schnell adaptiert. Offensiv verweigern am sechsten Tag des Gefahrengebiets fast alle ihre Personalien, werden mitgenommen auf die Polizeiwache in Aachen. Der Knast beschwert sich beim Gericht: Das Gefängnis ist schon überbelegt. Die Richterin entscheidet heute: Na dann bleiben sie halt in Polizeigewahrsam die nächsten sieben Tage. Nach drei weiteren Tagen sind 50 Menschen auf der Polizeiwache in Aachen und die Polizei völlig überfordert. Wie soll sie denn jetzt noch neue Menschen dorthin bringen, sei es auch nur um sie erkennungsdienstlich zu behandeln? Die Zellen sind doch alle voll. Diskutiert wird auch über die Anmietung neuer Hallen für eine neue Langzeit-Gesa, aber auch dafür müsste Polizei da sein und so schnell klappt das dann doch nicht. Nach drei Tagen werden alle entlassen und die Polizei führt zwei Tage lang Kontrollen eher halbherzig durch.

Der Innenminister schimpft: So kann es nicht weiter gehen, dass es rechtsfreie Räume gäbe und diese Chaoten den Polizisten auf der Nase herum tanzen würden und fordert ein hartes Durchgreifen. In der letzten Nacht hat er mit der Bauministerin gesprochen, diese ordnet eine Räumung der Baumhäuser auf Grund von Brandschutz an (ja solche absurden Konstruktionen gibt es bestimmt auch mit neuem Polizeigesetz noch).

Die tatsächliche Räumung beginnt. Immer mehr Menschen strömen in den Wald, kaum jemand versteht warum ein Wald heute noch dem Kohleabbau weichen muss und jedermensch sieht, dass das allen Klimaschutzzielen widerspricht. Im Wald dagegen ist die Stimmung angespannt, die Polizei beginnt mit der Räumung von Bodenstrukturen. Immer wieder nimmt sie Menschen mit auf die Polizeiwache. Zur Abschreckung landen einige, bei denen die Polizei Vorwürfe konstruiert, wie Angriffe auf Polizist*innen oder Widerstand durch Ankettungen vor Haftrichter*innen und in Untersuchungshaft.

Bei den anderen dreißig am ersten Tag Eingefahrenen sucht die Polizei sich einige aus, die sie schon kennt und bringt sie vor einen Richter in Kerpen. Der entscheidet, sie bleiben bis zum Ende der Räumung in Gewahrsam, längstens vier Wochen zur Gefahrenabwehr, denn es wäre wahrscheinlich, dass sie im Hambacher Forst Straftaten begehen würden, sie hatten schließlich Kletterzeug dabei und eine Person sogar ein Rohr zum Anketten. Aber in zwei Wochen würde es noch einmal eine richterliche Überprüfung geben, dann würde er das nochmal entscheiden, schließlich hatte die CDU das noch als große Lockerung des Polizeigesetzentwurfes verkündet – aber sie sollen sich da keine großen Hoffnungen machen, er kenne ja diese Aktivisten. Nach der Entscheidung, die alle Betroffenen stumm macht, geht es zurück zur Polizeiwache, verteilt auf einige Zellen. Erst nach drei Tagen erkämpfen die Eingesperrten die Verlegung in den Knast, in dem es zumindest so etwas wie geregelten Hofgang, Zugang zu Papier, Stiften und Büchern gibt. Der Knast beschwert sich wieder: Mehr Leute gingen einfach nicht. Aber die Staatsanwaltschaft findet noch ein paar freie Plätze einige Kilometer entfernt und so gibt es in den nächsten Tagen immer wieder vereinzelt Menschen, die für Wochen in Unterbindungsgewahrsam landen. Ohne Anklage, ohne Pflichtverteidigung und ohne Chance herauszukommen. Die Angabe von Personalien hilft bei Gründen der Gefahrenabwehr auch nicht.

An die anderen werden Platzverweise verteilt, gleich unter der Androhung, dass sie zur Durchsetzung dieser Platzverweise sieben Tage auf der Polizeiwache landen können. Die Polizei mietet eine große Halle an, direkt neben dem Gericht, um dies auch durchsetzen zu können, schließlich sind die Knäste voll. Prompt landen in den nächsten Tagen etliche im Großgewahrsam – zur Durchsetzung der erteilten Platzverweise, etliche müssen jedoch immer wieder frei gelassen werden, weil das Gericht die Menge nicht so schnell abarbeiten kann. Eine Woche nach Einrichtung der Großgesa gibt es so viele Proteste und Eilklagen gegen die menschenunwürdigen Bedingungen dort, dass die Polizei diesen Versuch dann doch wieder aufgibt – aber etliche Menschen dort erfolgreich traumatisierte.

Die Räumung zieht währenddessen die dritte Woche hin, die Polizei ist zunehmend überfordert. Schon in der letzten Woche wurde auf 12-Stunden-Schichten gewechselt, die einzelnen Polizist*innen leiden unter Schlafmangel und werden zunehmend aggressiver. Immer wieder trägt die Polizei Sitzblockaden weg und wendet Schmerzgriffe an. Dann fliegen ein paar Steine und Fäckalien auf die nicht besonders ausgeschlafenen Polizist*innen. Diese wenden sofort ihre neuen Elektroschockwaffen bei allen an, die in Reichweite kommen. Menschen sinken getroffen zu Boden, schreien vor Schmerzen. Eine steht nicht wieder auf. Sie war schon etwas älter und hatte einen Herzschrittmacher, tödlich beim Einsatz von Tasern. Die Menschen drumherum sind wie erstarrt, versuchen noch zu helfen. Ein Rettungswagen kommt, aber keine Chance. Niemand bewegt sich, dann zieht die Polizei sich zurück.

Leider ist die alte Frau nicht die erste, die beim Einsatz von Elektroimpulsgeräten (wie sie im Gesetz heißen) stirbt. Deshalb rückt die Polizei gleich am nächsten Morgen wieder an in voller Stärke. Menschen im Wald sind voller Trauer und Wut und werfen zurück, mit allem was sie haben, obwohl sie doch eigentlich nur eine Pause wollen. An diesem Tag wird die Polizei zurückgeschlagen, auch einige Polizist*innen ernsthaft verletzt.

Am Tag drauf wird in der Presse diskutiert, eine Polizeigewerkschaft erinnert sich an die Auseinandersetzungen in Wackersdorf und sieht die Befürchtungen bestätigt: Ein völlig eskalierter Konflikt. Auf Seiten der Aktivist*innen haben fast alle Angst, Angst vor den Tasern, Angst vor einer enthemmten Polizei, die alle gefährdet, es wird viel diskutiert. Aber da ist auch die Wut, die alles beherrscht, Wut auf die Verhältnisse, Hass auf die Polizei und oft ist diese stärker und verdrängt den Gedanken an mögliche Konsequenzen. Keiner weiß, wie das ausgehen wird.

Polizei und Innenministerium sprechen von den Öko-Terroristen im Hambacher Forst, die gefährliche Eingriffe in den Bahnverkehr vornehmen und mit ihrer rechtsfreien Zone die wirtschaftlichen und politischen Grundstrukturen des Staates gefährden würden. Damit werden die Grundlagen konstruiert, um eine Verfolgung und präventive Maßnahmen unter Terrorismus-Verdacht vornehmen zu können, nach §8 Abs. 5 Polizeigesetz.

Menschen, die polizeibekannt im Hambacher Forst unterwegs waren, bekommen plötzlich Briefe. Sie enthalten Aufenthalts- und Kontaktverbote für die nächsten drei Monate. Ihnen wird verboten, den Hambacher Forst und teilweise das gesamte Rheinland zu betreten. Außerdem wird ihnen verboten, mit den Leuten aus dem Hambacher Forst Kontakt aufzunehmen, es folgt eine Liste der Menschen, die ebenfalls solche Briefe bekommen haben und die generelle Angabe: „Hambacher Forst Aktivistinnen und Aktivisten“ – auch zu denen besteht ein Kontaktverbot. Gültig sei das ganze drei Monate und genehmigt durch das Amtsgericht Aachen, die Polizei hatte es dort für alle nach §34b Polizeigesetz beantragt und durchbekommen. Eine Anhörung der Betroffenen gab es für diese Maßnahme nicht. Grund sei die Gefahr der Begehung terroristischer Straftaten und das individuelle Verhalten der Personen habe Anlass dazu geboten, das zu vermuten. Schließlich seien sie im Hambacher Forst unterwegs gewesen und ihre Personalien seien im Zusammenhang mit einer Aktion gegen Braunkohle festgestellt worden. Zusätzlich hätten sie sich staatskritisch geäußert, was vermuten ließe, dass sie die verfassungsgemäße Ordnung beseitigen wollten. Ein Verstoß gegen die Aufenthalts- und Kontatkverbote sei eine Straftat, die mit bis zu zwei Jahren Haft geahndet würde.

Einige denken, das wäre ein blöder Scherz von RWE und fahren wieder in den Hambacher Forst, wo die Räumung einge Wochen unterbrochen wurde, um wieder etwas Ruhe in die angeheizte Situation zu bringen. Als zwei Personen dort zusammen kontrolliert werden, landen sie direkt auf der Polizeiwache und am nächsten Tag vor Gericht. Das beschließt, dass sie nach §35, §38 Polizeigesetz erst mal sieben Tage in Gewahrsam bleiben würden und künftig die Einhaltung der Kontakt- und Aufenthaltsverbote mit einer Fußfessel nach §34c Polizeigesetz überwacht werden solle. Außerdem würde ein Strafverfahren wegen Verstoß gegen das Aufenthalts- und Kontaktverbot eingeleitet. Zugleich wird vorsorglich verboten, das Land zu verlassen, ein weiteres Aufenthaltsgebot.

Nach der Woche Gewahrsam, wieder mal in einer weiß gekachelten Polizeizelle, bekommen beide Fußfesseln angelegt und die gerichtlichen Anordnungen nochmal genau erklärt. Dann fahren die beiden getrennt voneinander in ihre jeweiligen Heimatstädte zurück. Sie fühlen sich leer, plötzlich abgeschnitten von fast allen ihren sozialen Kontakten. Eine versucht mal wieder eine Vorlesung zu besuchen, aber so richtig gelingt es nicht und die Frustration steigt, bis sie es nicht mehr aushält. Da sie weiß, dass vermutlich auch ihr Handy und Computer infiltriert wurde und alle Kommunikation überwacht wird, nimmt sie schließlich über eine Mittelsperson per Zettel wieder Kontakt auf. Nach einem kleinen Hin- und Her ist für beide klar: So ist das kein Leben, wenn die Polizei ständig weiß, wo sie sind, jeden Schritt überwachen und sie nicht mal mehr mit Freund*innen sprechen dürfen. Am gleichen Tag zerstören sie beide ihre Fußfesseln und tauchen unter, zum Treffen im nächstgelegenen Wald. Es geht zurück in den Hambacher Forst, wo immer noch Menschen in den Bäumen sind und weiter Braunkohle abgebaut wird. Zurück zum kämpfen, möglichst so, dass mensch nicht erwischt wird. Auch wenn das Risiko jetzt höher ist, fühlt es sich so besser an, zumindest um die Freiheit zu kämpfen! Da sie nicht die einzigen sind, die das so sehen, entwickelt sich der Hambacher Forst immer mehr zum rechtsfreien Raum, die Polizei hat immer noch Mühe einzudringen und der Konflikt spitzt sich weiter zu. Wo das hinführen wird? Wer weiß das schon.